Eröffnungsrede anlässlich der Ausstellung Galerie Boderke, Bad Homburg  16.2.2014-30.3.2014

 

Wenn ich die Werke von Thomas Ritter anschaue, muss ich unwillkürlich an Poetik denken. Um Poetik in der Bildenden Kunst in Worte zu fassen, gibt es wohl keinen Kompetenteren als Rilke. Er weiß die Qualitäten wahrer Kunstwerke zu erkennen. Tief ist er in das Kunstschaffen von Rodin, Césanne, van Gogh und anderen eingedrungen.

Kunstschaffen ist für Rilke immer ein Ringen um Schönheit, Erhabenes und geistig Berührendes gewesen. Und dass man es sich dabei nicht so leicht machen sollte, wie heute viele Künstler ihr Schaffen verstehen, geht aus seinen Worten hervor:

„Kunstdinge sind ja immer Ergebnisse des in Gefahr-Gewesen-Seins.. je weiter man geht, desto persönlicher, desto einziger wird ein Erlebnis“. Wer geht schon an seine Grenzen? Aber wer so sein Kunstschaffen sieht, angefüllt mit Daseinshunger und  –Verstehen und damit doch frei von Marktzwängen, der wird an seine Grenzen stoßen. Thomas Ritter tut das! Und dabei rüttelt er nicht nur daran, sondern stößt für uns die Türen auf. Das Kunstwerk der Leinwand ist ja nur ein Anfang, dahinter öffnen sich Welten des tiefen Erinnerns und Verstehens. Das sind dann mehr als nur dekorativ schmückende Beiwerke. Sie sind, wie Hilmar Hofmann, einst Kulturamtsleiter Frankfurts, es einmal genannt hat „unser geistiges Lebensmittel“.

„Das Kunstwerk ist Dokument menschlicher Grenzsituationen; als solches hat es eine subjektive und eine objektive Bedeutung. Der Mensch ist bis ans Ende gegangen und steht angesichts des Geheimnisses. Er ahnt nun, dass das, was man gemeinhin Realität nennt, den Umkreis des wirklich Erfahrbaren längst nicht umfasst.“ So hat es Else Buddeberg ausgedrückt, die sich eingehend mit Rilkes poetischem Schaffen befasst hat. Und wieder die Worte von Rilke: „Darin liegt die ungeheure Hilfe des Kunstdings für das Leben dessen,  der es machen muss, dass es eine Zusammenfassung ist; der Knoten im Rosenkranz, bei dem sein Leben ein Gebet spricht, der immer wiederkehrende, für ihn selbst gegebene Beweis seiner Einheit und Wahrhaftigkeit.“ Ende des Zitats.

Ein solches Kunstwirken hält sich nicht allein in der realen Dingwelt auf. Es schaut darüber hinaus. Rilke sagt dazu: „Diese unglückselige Meinung, dass die Kunst sich erfülle in der Nachbildung, sei es nun der idealisierten oder möglichst getreuen Wiederholung der Außenwelt, wird immer wieder wach.“ Ende des Zitats. So, nun haben wir also den Künstler Thomas Ritter und sein Werk, fern des Nachahmungswillens, hier versammelt. Eine poetische Werkschau, wie sie Rilke gefallen hätte! Ritter lässt uns mit den aufgestoßenen Fenstern und Türen zu etwas Unbekanntem nicht allein. Möglich, dass wir etwas davon ahnen, wir können es aber noch nicht formulieren. Doch dieser Formulierung kommen wir mit seiner Hilfe um Schritte näher. Und das wird uns beglücken!

Wie soll man nun die Inhalte seiner Bilder erklären? Sie sind scheinbar ohne Dinge, ohne feste Formen. Und doch befällt uns eine Ahnung von Realitäten hinter der Dingwelt. Aber, diese Dingwelten genauer zu bestimmen, hieße, sie festzulegen auf etwas Bestimmtes. Rilke relativiert das Werk seiner Idealvorstellung so: „Das Ding ist bestimmt... von allem Zufall fortgenommen, jeder Unklarheit entrückt, der Zeit enthoben und dem Raum gegeben, ist es dauernd geworden, fähig für Ewigkeit.“ Ende des Zitats. Es ist die Schönheit der Realität hinter der Dingwelt. Diese ist nur schwer in konkrete Bilder zu fassen. Und doch scheinen sie bei Ritter auf: Ein Duft von Blüte – oder ist es ihr Verwelken? Ein menschlicher Schatten – oder ist es ein anderes Geschöpf? Eine blühende Landschaft – oder tut sich ein Abgrund auf? Ein geöffnetes Fenster – oder der Blick ins All? Realitäten hinter der Dingwelt!

Das gibt mir den Übergang zum zweiten Werkbereich der Künstlerin, die einen anderen Blick auf die Dingwelt hat – auf die Poetik im Konkreten. Was grenzt sie von der getreuen Wiederholung der Außenwelt ab? Sie befasst sich mit der Schönheit der Realität vor den Dingen. Und so baut diese Ausstellung eine Brücke von der poetischen Nahsicht zu deren Fernsicht – im Dienste der Schönheit. Isabel Anunciada-Reeb sieht sich herausgefordert, in unserer bilderrauschenden Fotowelt genauer hinzuschauen. Sie fördert in uns das Bewusstsein für die Schönheit der alltäglichen Dinge. Man erkennt im Kleinen das Große und im Teil das Ganze. Und so ist sie auch ganz nah bei Rilke und Rilke bei ihr.

 

Reimund Boderke