Markus Keller

 

Landschaft und Mensch:

Natur und Figur im Werk des Malers Thomas Ritter

 

„Wir müssen nicht über die Natur hinausblicken, sondern eher durch sie hindurchsehen: wir müssen tiefer sehen, unsere Sicht muß abstrakt, muß universal sein. Dann wird für uns die Äußerlichkeit zu dem, was sie tatsächlich ist: zum Spiegel der Wahrheit. – “

Piet Mondrian

 

„Ich suche mich mit der Natur zu verbünden, nicht sie nachzuahmen.“

Georges Braque

 

Die Natur als sinnliche Erfahrung wahrzunehmen, mußte der Mensch erst im Laufe der Jahrhunderte erlernen. Im Mittelalter noch wurde die Natur gleichgesetzt mit Schrecken und Gefahr. Sie wird erst zu ‚Landschaften‘, „wenn sich der Mensch ihnen ohne praktischen Zweck in ‚freier‘ genießender Anschauung zuwendet, um als er selbst in der Natur zu sein“[1][1].

Thomas Ritter hält sich oft in der Natur auf. Mit seinen Pferdekutschen erkundet er die Umgebung in der Nähe seines Wohn-Atelier-Bauernhofes. Weitere Inspirationen gewinnt er bei seinen Aufenthalten im schwedischen Västergodland, wo er auch ein kleines Atelier unterhält. Auch dort nutzt er die Zeit für ausgiebige Spaziergänge und Naturerkundungen. Der Rückzug in diese Landschaften gibt ihm Kraft und fordert ihn zur Auseinandersetzung heraus. Die Eindrücke, Farben, Formen und Stimmungen lassen ihn nachdenken über seine eigenen Gefühle und die Umsetzung dieser in seinen Bildern. So komplex die Zusammenhänge und der Aufbau in der Natur bei näherer Betrachtung wirkt, so vielschichtig ist auch der Bildaufbau der Leinwände: Mit schnell trocknenden Acrylfarben und Spachtelmasse wird ein Gerüst, ein Untergrund auf die Leinwand gebracht. Immer wieder werden die Strukturen verändert, durch Verwischungen und Überzeichnungen. „In den letzten Monaten lege ich sehr viel Wert auf diese Vorarbeiten, bevor dann der eigentliche Farbauftrag erfolgt“, erzählt der Künstler in seinem Atelier. „Ich muß schnell reagieren, da die Acrylfarbe rasch trocknet. Wenn ich noch etwas verändern will, muß ich sofort eingreifen.“ Mit diesen Überlagerungen und Strukturen entsteht ein Untergrund, der den Bildern eine starke räumliche Wirkung verleiht. Diese präparierte Leinwand wird dann allmählich mit langsam trocknender Ölfarbe weiter bearbeitet. Jetzt kann sich der Künstler für den Farbauftrag mehr Zeit lassen. Die verschiedenen Schichten sind deutlich zu erkennen. Die zahlreichen Farbnuancen, Verwischungen, Übermalungen und Farb-Spachtelungen breiten sich vor unseren Augen aus – ohne dabei konstruiert zu wirken. Rote, aggressive Farbfelder z.B. fügen sich in die Bildkomposition ein ohne sie zu erschlagen. Bei genauem Hinsehen kann das ganze gestalterische Spektrum aufgeschält und analysiert werden. Es entstehen abstrakte Werke, die immer wieder von Neuem überraschende Entdeckungen erlauben. Die Bezüge zur Natur sind zu erahnen, aber es ist eine vollständig neue Bildwelt entstanden. Mondrian beschreibt das Verhältnis zwischen Natur und Abstraktion so: „Je stärker von der Natur abstrahiert wird, desto fühlbarer wird die Beziehung.“[1][2] Diese Beziehung zwischen realer Natur und Umsetzung im Bild ist bei Thomas Ritter deutlich spür- und fühlbar. Aber, als ob ihm diese abstrakten, gefühlsmäßigen Beziehungen nicht genügen würden, erscheinen in seinen Bildern immer wieder in Umrisslinien erkennbare Figuren – mal stärker, mal verschwommener: Der Mensch ist für ihn der Mittelpunkt der Natur. Die Einarbeitung dieser Andeutungen an menschliche Wesen spricht positiv gegen eine Radikalisierung der Umsetzungen der Natur in rein abstrakte Formen. Thomas Ritter setzt eine eigene Sprache ein, ohne jedoch die Bezüge zur Realität zu verlieren. In seinem Verständnis kann sich der Maler nicht seiner Umwelt entziehen, die künstlerische Gestaltung ist immer eine unmittelbare Reaktion und eine direkte Antwort auf sie. Er möchte nicht den Kontakt zu seinen Vorbildern in Natur und Umwelt verlieren, deshalb taucht der Mensch als wichtiger Baustein immer wieder auf.

Es besteht eine enge Verbindung zwischen realer Natur und künstlerischer Umsetzung in den Werken von Thomas Ritter. Sie zeugen von einer sehr persönlichen Auseinandersetzung, ganz wie sie Max Beckmann 1948 in einem Brief an eine Malerin gefordert hat: „Immer wieder muß jede Form des Natureindrucks zu einem Ausdruck Ihrer eigenen Freude oder Ihres eigenen Leids werden, und daher in der Gestaltung die Veränderungen enthalten, die erst die Kunst, die echte Abstraktion ausmacht.“[1][3]

 


[1][1] Joachim Ritter, Sbjektivität. Sechs Aufsätze, Frankfurt a.M. 1974, S. 151

[1][2] beide Mondrian-Zitate in: Piet Mondrian, Ausstellungskatalog Galerie Beyeler, Basel 1964, o.S.

[1][3] Hermann Uhde-Bernays (Hrsg.), Künstlerbriefe über Kunst, Frankfurt a.M. 1963, S. 54